Der Start
Am Anfang war es nur ein Job. Das Studium (Jura in Bochum und Politikwissenschaften in Duisburg) musste finanziert werden. Von daher war ich immer auf der Suche nach einem Job. Von einer Bekannten, die Ihren Job dort beenden wollte, hörte ich von einem Obst- und Gemüsegeschäft im Rhein-Ruhr-Zentrum in Mülheim, der eine Aushilfe suchte. Also hin, beworben und angenommen. Ich konnte damals zumindest schon einen Apfel von einer Apfelsine unterscheiden. Das war 1987. Neben den "niederen" Aufgaben (Einräumen, Kisten schleppen, sortieren) wurde ich nach relativ kurzer Zeit schon auf die Kunden losgelassen, was mir zum einen viel Spaß machte und zum anderen auch relativ gut gelang. Gelernt habe ich in dieser Zeit vor allem zwei Sachen:
1. Warenkenntnis, denn in diesem Laden wurde versucht, sämtliche Produkte aus dem reichhaltigen Angebot der Natur zu verkaufen. Wir hatten immer die erlesensten Früchte von den besten Abladern in Europa, die dicksten Größen und die Artikel, die man damals bei den Lebensmitteleinzelhändlern wie E***A oder R**E verzweifelt und vergeblich suchte.
2. Die Ästhetik von Obst und Gemüse. Die Theken wurden jeden Tag quasi neu aufgebaut, die Präsentation ständig verändert. Wenn man sagt, dass Auge äße mit, muss man auch sagen, dass das Auge mit kauft. Es war, wenn wir mit dem Einräumen fertig waren, immer wieder ein Augenschmaus - die Vielfalt der Farben und Formen, die zu Pyramiden gestapelten Früchte, die Berge von Spargel. Das Bild eines französischen Wochenmarktes in der nüchternen Zweckarchitektur des RRZs.
Und etwas Anderes nahm hier seinen Anfang. Samstags wurden die Produkte, die montags nicht mehr verkaufsfähig sein würden, entweder weggeworfen oder wir konnten sie mit nach Hause nehmen. Wenn ich mich recht erinnere, waren meine Kochkenntnisse zu dieser Zeit beim Kochen von Nudeln beendet. Jetzt hatte ich plötzlich eine Tüte mit Riesenchampignons und musste (und wollte!) mir etwas einfallen lassen. Ich weiß heute noch, wie lecker die gefüllten Champignons waren, die wir in der Wohngemeinschaft gemacht haben - gleichzeitig die ersten frischen (oder auch nicht mehr so ganz frischen) Champignons, die ich gegessen habe. Gleich zwei Leidenschaften begannen hier: Zum einen zogen die ersten Kochbücher bei mir ein, denn ich wollte wissen, wie man die Produkte, die ich verkaufte auch verarbeiten kann. Ich wollte mehr über diese Fülle von Artikeln wissen, denn dieses Wissen konnte natürlich auch immer ein Verkaufsargument sein. Und zum Zweiten wollte ich auch lernen zu kochen.
Die ersten nächtlichen Besuche am Großmarkt folgten bald. Die Neugier, zu wissen, wo das, was ich morgens auf dem VW-Bulli auszuladen hatte, herkam, ließ mich nach nächtliche Klingeln des Weckers ertragen. Es war eine andere Welt. Eine Welt derer, die umtriebig zu Zeiten, in denen 90% der Menschheit noch schlafen, ihren Job nachgingen, eine Welt des Feilschens und der Suche nach den besten und ausgefallensten Früchten oder dem günstigsten Angebot. Und eine Welt der kleinen grünen Jägermeister-Patronen morgens um 5:00 Uhr. Vor, nach oder zum Kaffee aus Plastikbechern, über dessen Qualität ich hier huldvoll den Mantel des Schweigens breiten will.
Anfang 1989 kam der Vorschlag von meinem Chef, zusammen eine Firma zu gründen, die den Einkauf und die Belieferung seiner drei Einzelhandelsfachgeschäfte übernehmen sollte und darüber hinaus eine Ausweitung der Belieferung von Restaurants zum Ziel hatte. L´ORANGE Prause & Scholten GbR wurde gegründet, ein gebrauchter 7,5to-LKW (ein Bedford) gekauft und die ersten Fahrten zum Kölner Großmarkt, schon damals einer der größten in NRW, unternommen. Das war noch einmal eine ganz andere Liga. Hier stand Ware in Mengen und Vielfalt, die wir in Duisburg nie gesehen hatten, die Produkte, die ich bislang nur aus Büchern kannte, standen dort in schier unfassbarer Menge. Es war die Zeit, die die Einkäufer der Supermarktketten große Teile ihres Angebotes noch über die Großmärkte kaufte. Nie vergesse ich den schmuddeligen Stand eines sizilianischen Großhändlers, bei dem wir die ersten Strauchtomaten sahen, in jeder Kiste ein paar faule mit dabei - wenn die Tomaten dann aber aufbereitet in der Theke lagen, war es eine kleine Sensation und es gab auch ordentlich Geld. Viele Produkte von damals sind mittlerweile aus dem normalen Sortiment verschwunden oder nur noch mit Mühe irgendwo zu besorgen, z.B. die tollen aromatischen Flug-Ananas aus Ghana, die ihren Platz der heute fast ausschließlich verkauften Extra-Sweet räumen mussten.
Selbstständig
Aber nach ein paar wenigen Monaten war es mit der GbR vorbei. Unterschiedliche Sichtweisen im Umgang mit Geld und in der weiteren Ausrichtung der Geschäftsstrategie veranlassten mich zur Trennung und Gründung meiner ersten Firma im Sommer 1989. Was ich hatte: Der erste selbst akquirierte Kunde (die leider heute nicht mehr existierende Wilhelmshöhe in Duisburg) und einen von einem befreundeten Großhändler geliehenen Mercedes-Bus. Die ersten weiteren Restaurants folgten: das Lippeschlößchen in Wesel, Günter Hahn´s Schifferbörse in Duisburg-Ruhrort und der Arlberger Hof des Österreichers Michael Wimmer. Hier war auch mein erster Restaurantbesuch in einem sogenannten Sternerestaurant. Auch hier wieder ein nichtvergessenes Erlebnis, in einem feinst ausgestattetem Restaurant zu sitzen, ein mehrgängiges Menü zu essen und dazu Wein zu trinken, den ich zu der Zeit weder gut kannte, noch übermäßig mochte. Aber den Hauptgang weiß ich noch: Waller (Wels) in Safransauce mit Fenchel und Trüffelkartoffeln. Es war ein Gedicht, eine Qualität, die absolut neu war und die so viel Lust auf mehr machte. Aber Wimmer brachte mich auch an den Rand des Wahnsinns. Bei den abendlichen Telefonaten wurden Sachen bestellt, von denen ich immer noch nicht gehört hatte, was ich natürlich nicht zugeben durfte.
Roquette, Cordifole und Totentrompeten ??????
Es folgen die ersten Fahrten zum Großmarkt nach Düsseldorf, um dieser ungewöhnlichen Bestellungen habhaft zu werden. Heute lacht man darüber, aber Roquette war damals nur über Vorbestellung (immer mittwochs kamen die Lieferungen aus Rungis an) zu bekommen und es gab noch nicht die heute bekannte filigrane feine Art, sondern es waren breite Blätter der in Frankreich kultivierten Sorte. Roquette ist nämlich Rucola, Anfang der 90er Jahre noch ein Exot auf dem Speiseplan. Die erste Trüffelbestellung und die Fahrt zu einem Bochumer Delikatessengroßhändler, der mein Unwissen auch gleich ausgenutzt hat und mir die edle Knolle in miserablem, weichem Zustand verkaufte.
Der Tagesablauf damals: Abend gegen 22:00 Uhr die Telefonate mit den Kunden, um die Bestellungen zu bekommen, morgens um 3:00 Uhr Aufstehen und zu den Großmärkten in Duisburg und Düsseldorf, dann die Bestellungen kommissionieren und zu den Kunden fahren.
Der erste Laden
Zum Problem wurde immer mehr, dass die Kunden ein Stück hiervon und 4kg davon bestellten, auf den Großmärkten aber nur ganze Kisten verkauft wurden. Wohin mit dem Rest der Kisten? Es kam der Entschluss, ein Obst- & Gemüsegeschäft zu eröffnen und somit zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Und am 02.11.1989 war es soweit: Ausgestattet mit selbst gebauten Stellagen und alten Apfel- und Spargelkisten als Regalen, eröffnete ich in der Oberhausener Innenstadt meinen Laden - direkt neben einer Filiale des zu der Zeit auch noch in den Kinderschuhen steckenden Discounters L**L.
Fortsetzung folgt...